Das Mixtape. Die ultimative Liebeserklärung.

Man(n) sagte es durch Musik.

Alles hatte eine Bedeutung: die ausgewählten Songs, ihre Reihenfolge, die Kassettenbeschriftung.
Lesedauer: 6 Minuten, die sich lohnen

Ein Mixtape hatte einen geheimen Code. Im Grunde war es wie im Film ‚The Da Vinci Code – Sakrileg‘ mit Tom Hanks und Audrey Tautou. Die verborgene Botschaft lautete: „Ich steh auf dich, aber ich weiß nicht, wie ich es dir zeigen geschweige denn sagen soll, und weil es auch niemand wissen darf, dass ich dich mag, weil meine Kumpels mich sonst auslachen würden, sage ich es dir durch dieses Mixtape.“ Kaum 13, 14 Lenze jung, kam man sich vor wie eine Mischung aus Don Juan und James Bond. Für heutige Jugendaugen übersetzt: Ein Mixtape war ein musikalischer Emoji. Nein, es war viel mehr als das. Es war das eigene kleine Herz auf einem Silbertablett überreicht. Auf einem Silbertablett der Marke BASF, TDK oder Maxell. Darauf packte man alles, was der gerade einsetzende, persönliche Sturm und Drang einem emotional ermöglichte sowie alles, was man über „Boy meets Girl“ bereits wusste – bzw. was man glaubte, zu wissen. Sie wissen was ich meine. 🙂
Jedenfalls glichen die Planung und die Umsetzung eines Projekts „Mixtape“ einer wissenschaftlichen Abhandlung, seine Überreichung war eine Mutprobe. Aber all das war es wert – bestand doch die berechtigte Hoffnung auf einen Zugewinn an Sympathie vonseiten der insgeheim angebeteten jungen Dame. Anders gesagt: Die Anfertigung eines Mixtapes war eine heilige Mission.

Vergesst Walther von der Vogelweide – hier kommt Matthias aus der Ringstraße!

Im Hochmittelalter zogen Minnesänger wie Walther von der Vogelweide und Wolfram von Eschenbach durch die Lande, schlugen die Laute und – so wollte es die hohe Minne-Schule – gaben unter dem Balkon des angeschmachteten Burgfräuleins ihre Liedkunst zum Besten. Ohne Aussicht auf Erfolg, dramatischerweise. Denn ein Minnesänger durfte ausschließlich schmachten und leiden, aber SIE niemals erobern. So wollten es die Standesregeln. Na toll.
Doch nun, wir schrieben die frühen Achtziger, wohlan und Mut geschöpft! Statt Pferd, Laute und Althochdeutsch-Hit waren es bei uns also Schulbus, BASF-Kassette und ‘Foreigner – I Want To Know What Love Is‘. Die Erfolgsaussichten: im Grunde ebenso vage. Doch die Hoffnung starb auch schon bei einem 13-Jährigen zuletzt. Also zog man in die Schlacht. (Junger) Mann, war das aufregend! Ein Finale von DSDS war ein Scheiß dagegen.

Hier die Herangehensweise an ein Mixtape.
Es war genau so, wie nachfolgend beschrieben. Liebe Männer: Ihr wisst, von was ich spreche. Holde Damen: Ihr erfahrt es spätestens heute.

Schritt 1: Klärung der grundlegenden Fragen.
Als da waren:

Frage 1: Wie deutlich soll die Botschaft werden? Denn daraus resultierte wiederum die Frage: „Nur Lovesongs oder Lovesongs mit ‚normalen‘ aktuellen Hits gemischt?“
Dass unabhängig von der Antwort Lieblingssänger / die Lieblingssängerin / die Lieblingsband der Beschmachteten auf dem Magnetband vertreten sein würde, war natürlich selbstverständlichst.
Frage 2: Welche Lieder sind Pflicht und müssen drauf, welche sind Ergänzungen – für den Fall, dass die geschätzte kumulierte Gesamtspieldauer im Verhältnis zur tatsächlichen Bandlänge in Minuten (90er- oder 60er-Tape?) noch etwas Platz ließ?
Frage 3: Welcher Song soll bzw. muss das Mixtape eröffnen? Denn ihm kam eine besondere, ja: programmatische, Bedeutung zu, in Bezug auf die Gesamtaussage!
Frage 4: Welches sind die ersten 3 bis 5 Songs auf Seite 1? Welches sind die beiden ersten Songs auf Seite 2 – und welches werden (in geschätzter Abhängigkeit von der Bandlänge, s. o.) die beiden letzten Songs des Tapes sein? Denn, klar: Sie würden besonders in Erinnerung bleiben, sie mussten den Gesamteindruck (= die Gesamtaussage) vollenden!
Frage 5: Wie sollte die Beschriftung der Kassettenhülle lauten bzw. gestaltet sein? Dies implizierte auch die beiden schmalen Aufkleber, oben oder unten, auf den beiden Seiten des Tapes.
Bestand über die Antworten auf diese lebensentscheidenden Fragen Klarheit, ging es zu

Schritt 2: Definition der Liedquellen.
Konkret: Wo bekomme ich die benötigten Songs her? Mögliche Lösungen:

Lösungsmöglichkeit 1: Ich besitze einige der Songs auf Platte (Idealvariante, da das Lied in bester Qualität und vollständig überspielt werden konnte)
Lösungsmöglichkeit 2: Ich habe einige der Songs in den vergangenen Wochen auf Kassette aufgenommen (der Normalfall, siehe auch meinen Blogbeitrag Die Kunst des Aufnehmens. Oder: „Hoffentlich quatscht er nicht rein!“).

Hier jedoch das Problem: Meine Stereoanlage verfügte über lediglich ein Kassettenlaufwerk – wie also sollte ich den Song von jener Kassette auf das Mixtape bekommen? Mögliche Abhilfe: (Unauffällig! … schließlich durfte niemand auch nur ahnen, dass man ein monströses Werk wie die Erstellung eines Mixtapes plante) Herumfragen, wer noch ein zweites Tapedeck besitzt und es mir leihen könnte, selbstverständlich im Austausch gegen mehrere Panini-Fußball-Bundesliga 1983/84-Sammelbilder.
Nächstes Problem: Ich besitze einen oder mehrere der Songs weder auf Platte noch auf Tape (mögliche Gründe: Ich finde den Song doof (das aber war egal, denn hier ging es schließlich nicht um mich, sondern um SIE); Ich habe ihn im Radio bislang verpasst (dies jedoch war quasi ein Ding der Unmöglichkeit)).
Lösungsmöglichkeit 3: (Unauffällig!) Herumfragen, wer die Platte bzw. den Song auf Tape besitzt.
Lösungsmöglichkeit 4: Den Song im Radio jagen (siehe einmal mehr meinen o. g. Blogbeitrag).
Sobald dies alles endlich geklärt war, wurde es ernst … Auf zu

Schritt 3: Umsetzung.
Nun zog man wie ein Ritter in die Schlacht. Es war nicht weniger als das.

Während Mama im Keller bügelte, nahm im Jugendzimmer das Schicksal seinen Lauf.

Lied für Lied wurde liebevoll platziert. Selbstverständlich hatte man zuvor eine wohldurchdachte Songliste entwickelt und dabei den perfekten Spannungsbogen kreiert, damit da im Eifer des Magnetbandgefechts nichts schief ging und man womöglich ein Lied aufspielte, das da noch gar nicht hin gehörte und sowohl den Spannungsbogen wie die geheime Botschaft verzerrte. Oder, noch schlimmer: dass man ein Lied vergaß! Während ich das heute schreibe, muss ich über alle Backen grinsen – damals jedoch war einem überhaupt nicht danach. Vielmehr hoffte man, dass Madame verstehen würde, was man ihr hier mit flammendem Herzen vermittelte – z. B. mit den ersten Worten des Songs ‚Leuchtturm‘ von Nena: „Ich geh mit dir wohin du willst – auch bis ans Ende dieser Welt!“ Wie deutlich konnte man noch sein??!? #Aaargh Oder ‚Somebody‘ von Depeche Mode: „I want somebody to share for the rest of my life, share my innermost thoughts, know my intimate details.“ Noch Fragen? Ganz zu schweigen vom bereits erwähnten Foreigner-Song ‚I Want To Know What Love Is‘ oder von Bryan Adams – ‚Heaven‘. Mehr Drama ging nicht.

Abschließende Problematiken:
War es dann endlich geschafft und glich das sorgsam ausgearbeitete Werk in puncto Detailtiefe einem Handelsabkommen zweier Großmächte, so blieben noch die Fragen „Notiere ich die Songtitel auf der Kassettenhülle oder soll es für sie eine Überraschung werden, was drauf ist?“ Hmmm … Und: „Schreibe ich ihren Namen auf die Hülle und die Kassette oder wie nenne ich das Werk?“ Hmmmmmm ….. Doch das war beides nichts gegen die finale Frage aller Fragen: „Wie soll sie das Tape erhalten – auf welchem Weg?“ Feierlich überreichen ging gar nicht, schließlich wäre das einem Eingeständnis gleich gekommen, was man für sie empfindet. Unauffällig in den Schulranzen werfen könnte sie als „zu beiläufig“ interpretieren … Also vielleicht das Gespräch so in Richtung „Aktuelle Hits“ treiben, gespielt, ganz nebenbei, anbieten, „Ich könnte dir ja mal eine Kassette machen.“, was sie nicht ablehnen würde, dadurch einerseits ihre Sympathie generieren sowie andererseits diese bis zum Tag X, dem Tag, an dem man ihr das Machwerk präsentieren würde, konservieren und ihre Erwartungshaltung maximieren? Hmmmmmmmmmm …

9 von 10 Schuljungs wissen heute: Für sie war es lediglich eine Kassette mit Songs. #Drama

Tauscht man auf einer Party oder bei einem Klassentreffen mit einer Bekannten oder Freundin Erinnerungen aus und kommt man dann aufs Thema Musik, so fällt irgendwann auch das Stichwort „Mixtape“. Die fatale Erkenntnis: Mädels hatten nicht die leiseste Ahnung von der dramatischen Arbeit und der tiefen Bedeutung, die sich hinter einem Mixtape verbargen … Andererseits: Macht aber nicht gerade auch das irgendwie die Romantik jenes Tuns aus? Jenes Minnediensts? Auch wenn es nicht direkt etwas genutzt hat (ich kenne jedenfalls keinen Freund von früher, der mittels eines Mixtapes einen messbaren Erfolg verbucht hätte 😉 ). Ich finde: In gewisser Weise kann man ein bisschen stolz darauf sein. Denn man hat einfach sein kleines Herz in das Tape genommen und: gemacht! Womit man selbst als 13-jähriger Knirps durchaus in der Tradition der hochmittelalterlichen Kollegen stand. 😉 Ich bin sicher: Heute sind die Medienformate andere, aber das Ansinnen und die Umsetzung sind identisch. Haben Sie Kinder? Achten Sie mal darauf. Ich jedenfalls muss, wenn ich einstige Mixtape-Songs im Radio höre oder als DJ auflege, immer wieder lächeln. Weil es für mich auch heute noch etwas Besonderes ist, damals derart agiert zu haben. Weil die Tatsache, durch Musik Freude zu bereiten, damals wie heute einfach etwas Schönes ist.

Jemand Lust auf ein Mixtape?

Haben auch Sie derart prägende Erinnerungen an „Ihre“ Musik? An eine bestimmte Band, an einen Künstler (w/m/d) oder an bestimmte, mit Musik in Zusammenhang stehende Erlebnisse?
Schreiben Sie es mir per Mail oder als Kommentar auf Facebook. Ich freue mich darauf! Thank you for the Music.

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Es fing mit den Beatles an. Aber anders als Sie denken.

The Day the Music Died.

Tatort: Offenbach, Sprendlinger Landstraße 76, 3. Stock.
Lesedauer: 5 Minuten, die sich lohnen

Music was my first love. Und beinahe auch meine letzte. Die erste Erinnerung meines Lebens: Meine Eltern nehmen mich auf einen Spaziergang mit und unterhalten sich dabei, dass wir um die und die Uhrzeit zurück sein müssen, weil da im Fernsehen in Bericht über die Beatles kommt. Klein-Matthias fragt, was denn die Beatles seien und meine Erzeugerin antwortet „Das ist eine Musikgruppe.“ Diese Szene habe ich so tatsächlich noch vor Augen. Es war im Treppenhaus, direkt vor der Tür unserer Dachgeschosswohnung in Offenbach, in der wir bis zum November 1974 lebten. Und ich meine sogar, mich daran zu erinnern, dass wir jenen TV-Bericht dann später zusammen anschauten, im Sinne von „Meine Eltern schauten ihn an und ich lümmelte im Wohnzimmer herum“. So weit, so gut, so unspektakulär.
Die Fortsetzung dieses meines Kennenlernprozesses der Fab Four war dann jedoch alles andere als unspektakulär. Im Gegenteil: Zum ersten Mal in meinem Leben ließ ich es ordentlich krachen.

Den Wochentag weiß ich nicht mehr. Aber es war früher Nachmittag.

Hatte ich erwähnt, dass meine Erzeuger riesige Beatles-Fans waren? Sie besaßen alle Platten der Pilzköpfe – alle. Die 7“-Singles auf Odeon Records und Apple Records, die LP’s – u. a. das ‚Weiße Album‘, ‚Revolver‘, ‚Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band‘, ‚Let it be‘ – alle. Fein säuberlich sortiert, wurden die in einem im Wohnzimmer, wenn man es betrat, an der rechten Wand auf Kniehöhe angebrachten weißen Schrank aufbewahrt. Ebenfalls darin platziert: die nagelneue, sich in einem festen Kartonschuber befindende Doppel-LP der Operette ‚Im weißen Rößl am Wolfgangsee‘. Die hatten sich meine Eltern gerade erst gegönnt, vom mühsam zusammengesparten Haushaltsgeld. Und … ich glaube, etwas von James Last war auch dabei, in einem roten Kartonschuber, ebenfalls eine Sonderedition. Die stand in dem Schrank ganz links.

Jedenfalls trug es sich eines Tages zu, dass mich meine Eltern zum obligatorischen Mittagsschlaf in mein Bettchen im von meinem Bruder und mir regierten Kinderzimmer legten. Dieses befand sich direkt neben dem Wohnzimmer. Das untere Stockwerk des Etagenbettes bewohnte mein Brüderchen, ich logierte im oberen.
Nun, im Nachhinein war es offensichtlich normal, dass uns unsere Eltern alleine in der Wohnung zurück ließen, wenn sie Besorgungen zu erledigen hatten. Sie glaubten uns ja schlafend. Einige Jahre später, als wir aus Offenbach weg gezogen waren und nördlich von Frankfurt gebaut hatten, brachten sie uns z. B. eines frühen Abends – ich war 7 oder 8 Jahre alt, mein Bruder war 2 Jahre jünger (das ist er übrigens heute noch) – früher als sonst zu Bett und ließen uns allein in unserem Haus, um nach München aufs Oktoberfest zu fahren. Kein Scherz. Spät nachts kamen sie dann wieder und wir Knirpse hatten nichts davon gemerkt, denn wir hatten durchgeschlafen. Diese Anekdote wurde später auf Familienfesten wieder und wieder erzählt. Aber egal, andere Geschichte, das hat gar nichts mit den Beatles zu tun. Beatles-bezogene Tatsache war, dass unsere Eltern an jenem hier thematisierten Nachmittag fort waren und ich meinen Mittagsschlaf hielt. Jedenfalls zunächst.

Die Ereignisse jenes schicksalhaften Nachmittags im Zeitraffer:

13:00 Uhr: Klein-Matze liegt brav im Bettchen und träumt von Entdeckungsreisen in die Welt der Musik. Mama und Papa sind weg.

13:23 Uhr: Klein-Matze wird wach. Hmmm, wach, keiner da, nix los hier – langweilig. Das ist ja doof … Ey, Leute: Alles muss man selber machen.

13:25 Uhr: A pro pos „Entdeckungsreise“. Ich verlasse mein Bett und werde der erste Teilnehmer an ‚Jugend forscht‘. Mal sehen, was passiert …

13:29 Uhr: Ich bin im Wohnzimmer angekommen. Stellen Sie sich jetzt einfach vor, ich stehe hier vor dem Plattenschrank, erfreue mich meines jugendlichen Forscherdrangs und komme mir vor wie Alexander von Humboldt, als er zum ersten Mal den Orinoco sah.

Was ich statt jenes südamerikanischen Flusses erblickte, war die Beatles-Sammlung meiner Eltern:

Stellen Sie nun selbstständig eine Verbindung zwischen jenen Vinylscheiben und diesem Beispielfoto her:

13:34 Uhr bis 14:16 Uhr: Ich finde heraus, dass Vinyl bricht, wenn man oft genug draufhaut oder wenn man es lange genug biegt. In jener Dreiviertelstunde habe ich die Beatles-Sammlung meiner Eltern zerstört. Auch das „weiße Rößl“ musste dran glauben.
Als meine Erzeuger nach Hause kamen, saß Klein-Matze jauchzend inmitten schwarzer Vinyl-Scherben.

Noch am selben Tag wurde ich in einem Schilfkörbchen auf dem Main ausgesetzt. Die Menschen, die mich später aufzogen, sind nicht meine leiblichen Eltern.

Wie ich (fast) alles wieder gut machte.

Das war natürlich nur ein Scherz. Wobei – so „natürlich“ nun auch wieder nicht. Denn Zufall oder gewollte Stigmatisierung, um mir mein Tun beständig vor Augen zu führen: Ich bekam einige der angebrochenen Schallplatten inkl. der dazu gehörenden Cover als Spielzeuge übereignet. Die lagerten noch Jahre später, als wir längst in unserem Fertighaus der Marke ‚Streif‘ lebten, in meines Bruders und meiner Spielzeugkiste. Zwar konnte ich nicht wirklich etwas damit anfangen, doch ich erinnere mich, dass ich die Gemeuchelten dann und wann heraus holte und es irgendwie faszinierend fand, dass darauf Musik abgespeichert war. Übrigens befanden sich unter den Delinquenten auch die angebrochenen 7″-Singles von Nancy Sinatra – ‚These Boots Are Made For Walking‘, sowie ‚The Swinging Blue Jeans – Hippy Hippy Shake‘. Was aus auch diesen Zeitzeugen wurde, weiß ich nicht genau, es könnte jedoch sein, dass sie in meinem Keller lagern. Sollte ich sie eines Tages finden, poste ich hier gerne ihre Porträts.

Nun, mehrere Jahre vergingen. Ich hospitierte mittlerweile in der 8. Klasse des gymnasialen Zweiges einer mittelhessischen Gesamtschule und besaß seit kurzem meine erste Stereoanlage, Marke: Pioneer. Auf die war ich bollestolz.

Just zu dieser Zeit betrat eines Morgens unserer Musiklehrer das Klassenzimmer und wir begannen, die Beatles durchzunehmen … Aus irgendeinem Grund hatte ich ein Déja-vù … Denn ich hatte das Gefühl, die Beatles bereits durchgenommen zu haben (und zwar so richtig).

Jedenfalls entdeckte ich während der kommenden Unterrichtsstunden die Fab Four neu. Viele der Songs kamen mir dabei bekannt vor – kein Wunder, waren sie doch während meiner ersten Lebensjahre des Öfteren im Radio gelaufen bzw. hatten meine Eltern ihre Platten gespielt … Die Songs, die mich nun abermals, jedoch im friedlich-wissenschaftlichen Kontext, begeisterten, waren insbesondere die Frühwerke von John, Paul, George und Ringo‚She Loves You‘‚A Hard Days Night‘ und ‚Love Me Do‘. Das tun sie übrigens bis heute: Bei dem Trommelwirbel, der ‚She Loves You‘ eröffnet, schießt mir die volle Ladung Adrenalin durch den Körper. Nun, dank des Musikunterrichts bekam ich zumindest eine Ahnung vom gefühlt so unendlichen wie genialen BeatlesOeuvre und ich erstand beim Vinylhändler meines Vertrauens, im ‚Breitenfelder‘ in der Kaiserstraße unserer Kreisstadt Friedberg, von meinem mühsam zusammengesparten Taschengeld, diese ‚Greatest Hits‘-Compilation:

Das Interessante: Dies muss im Frühjahr 1985 gewesen sein und meine zuvor erworbenen Platten waren von Depeche Mode, Duran Duran, Nena, Billy Idol und Alphaville gewesen. The Beatles stachen also heraus. Doch obwohl mit dem knappen Taschengeld extrem gut gewirtschaftet und ergo stets abgewogen werden musste „Kaufe ich davon eine Platte oder Leerkassetten zum Aufnehmen aus dem Radio?“: Dieser Kauf musste sein! Im ‚Beatles‘-Plattenfach im Breitenfelder suchte ich bewusst nach einer Greatest-Hits-Compilation und entdeckte diese Scheibe. Denn die im Musikunterricht erlebte Kreativität und die Energie dieser Songs waren zu groß, der Zauber, den sie auf mich hatten, war einzigartig – es war anders als das, was Nena und Alphaville mit mir machten. Irgendwie verspürte ich ein „Ur-Gefühl“, etwas ganz Tiefsitzendes – klar, bei der Vorgeschichte … 😉

Und so präsentierte ich, als ich mit meiner neuen runden Errungenschaft nach Hause kam, sie nicht ohne Stolz meiner Mutter. Wie sie reagierte, weiß ich allerdings nicht mehr … 😉

Zum 18. Geburtstag bekam ich die einzige Überlebende geschenkt:

Ich erhielt sie in Geschenkpapier verpackt überreicht: die einzige Platte, die jenes Massaker ohne Bruchstellen überlebt hatte. An die begleitenden Worte meiner Erzeugerin erinnere ich mich genau: „Wir sehen ja, dass du es mittlerweile zu schätzen weißt.“ Ehrfurchtsvoll platzierte ich dieses musikhistorische Ton- und Lebensdokument in die sicherste Ecke des Racks meiner Pioneer-Anlage und ich besitze sie, selbstverständlich, noch heute.

Mehr noch: Dann und wann, wenn ich mich in den vergangenen Jahren an jene Anekdote erinnerte, stöberte ich ein wenig auf ebay und erwarb einige Zeugnisse jener größten Band aller Zeiten – mit einer, wie Sie jetzt verstehen, für mich ganz besonderen Bedeutung.

Schätze, die ich hüte:

All you need is Love – and Music.

Ich finde es jedenfalls immer wieder erstaunlich, wie in frühen Lebensaltern erfahrene Musik zum gefühlten Bestandteil der persönlichen DNA wird, zum Kulturbaustein des Charakter-Fundaments. Ja, frühkindliche Musikerziehung, ob in der Kita, im Kindergarten, in der Grundschule oder durch freiberufliche Musikpädagogen, ist heute Usus. Freilich jedoch in einem didaktischen Kontext. Das wirklich Spannende ist doch das unbewusste Erlebnis, der Prägevorgang auf der Instinktebene. Das Ungeplante.

Ich finde / fände es daher schön, wenn Eltern und Kinder – und ich meine auch „Kinder im jugendlichen und erwachsenen Alter – sich u. a. über charakterbildende Parameter wie Musik austausch(t)en, wenn sie sich erzähl(t)en, welche persönlichen Erinnerungen man an diese und jene hat, welche Auslöser es hatte oder warum man heute komplett anders hört als in früheren Lebensabschnitten. Eltern vergessen leider irgendwann, wie das damals bei ihnen war, als sie jung / jünger und von Musik begeistert waren. Ja, die heute lebensthemenbedingt einen womöglich zwar geringeren Stellenwert hat, die jedoch maßgeblich zum eigenen Sein beitrug. Außer natürlich, die Kinder entdecken Sänger oder Bands für sich, die früher auch die Eltern liebten – so wie ich die Beatles. Dann ist das Hallo groß: „Ja, diiiieee fanden wir damals schon gut!“ Dann bekommen Eltern glänzende Augen und erzählen. Doch nur eine Stunde später heißt es wieder „Mach deine verdammte Musik leiser!“

Ich persönlich habe oft versucht, meinen Eltern meine Liebe zu einer bestimmten Musikform, einer bestimmten Band oder bestimmten DJ‘s zu vermitteln – vergeblich. Mit Anfang 20, Anfang der 90er-Jahre, vereinnahmte mich z. B. elektronische Musik. House und Techno erlebten ihren kreativen Höhepunkt und eroberten die Welt. Es war die bis dato letzte große Musikrevolution. Aufgewachsen vor den Toren Frankfurts, einem Epizentrum jener Musikform, zogen mich die Clubs und die Szene dieser Stadt magisch an (dazu später, an anderer Stelle, mehr). Völliges Unverständnis vonseiten meiner Eltern. Leider. Auch die Aufzeigung von Parallelen zu einstmals (in den 50ern und 60ern) von ihnen bewunderten Künstlern, wie Peter Kraus, den Beatles oder den Rattles mit Frontmann Achim Reichel, die damals ebenfalls Neues kreierten und damit begeisterten: vergebens.
An dieses Gespräch erinnere ich mich gut: „Ihr standet ja damals auf die Beatles und die Rattles.“ – „Ja, aber das war ja auch noch richtige Musik!“ – „Nun, damals war die E-Gitarre revolutionär und sorgte bei Puristen zunächst für Irritation und Ablehnung. Heute kann man Musik auch mit Computern und Synthesizern produzieren – das ist dieselbe Form einer technischen Weiterentwicklung.“ – „Aber deine DJ’s spielen doch nur Platten, die machen doch keine richtige Musik!“ Ich versuchte, ihnen das Thema „Spannungsbögen“ zu vermitteln – ohne Erfolg. Mein an jenem Abend letzter Versuch: „Wenn heute Peter Kraus im Fernsehen auftritt, Lederjacke trägt und Gitarre spielt – wie findet ihr das?“ – „Das ist doch toll, Peter Kraus ist einer aus unserer Generation, der ist ein echter Rocker, ist doch toll, wie der sein Ding durchzieht!“ – „Mein Peter Kraus heißt Sven Väth.“ Unverständnis. Kein weiteres Interesse. So schade. Denn: Ist es nicht toll, auch Musikerfahrungen miteinander zu teilen, sich auch dadurch mitzuteilen? Deshalb freue ich mich beim Auflegen als DJ jedes Mal aufs Neue darüber, wenn Menschen bei ihrer und über ihre Musik kommunizieren.

Für die Anekdote mit der Beatles-Sammlung bin ich jedenfalls sehr dankbar. Und auch dafür, anschließend nicht zur Adoption freigegeben worden zu sein, sondern mich bis heute der schönsten Nebensache der Welt widmen zu können. Sorry, Fußballfans 😉

Haben auch Sie derart prägende Erinnerungen an (Ihre) Musik? An eine bestimmte Band, an einen Künstler (w/m/d) oder an bestimmte, mit Musik in Zusammenhang stehende Erlebnisse?
Schreiben Sie es mir per Mail oder als Kommentar auf Facebook. Ich freue mich darauf! Thank you for the Music.

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